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Lob der UnschärfeDie "Artionale" bringt Neue Musik und Kunst in evangelische Kirchen Wenn schon die Erinnerung verblasst, müssen wenigstens die Fotos scharf sein, denkt das Millionenheer von Amateurfotografen. Ganz anders die Profis, wie zum Beispiel der Kurator der Artionale 2004 Klaus von Gaffron, der jede Verdoppelung der Wirklichkeit durch Fotografie vermeidet. Somit entspricht das Motto "Unschärfe" ganz seinem eigenen künstlerischen Vorgehen. Die Artionale ist ein Projekt der evangelischen Kirchengemeinden in München, das sich der Kunst der Gegenwart und der Neuen Musik widmet. Einige, wie die Himmelfahrtskirche in Sendling und die Lukaskirche im Lehel, zeigen das ganze Jahr über Ausstellungen oder Installationen, andere nur zur Artionale. Diesmal beteiligen sich neun Kirchen und drei Institutionen. Das sind zwar nicht gerade berauschend viele, aber wenn man die allgemeine Finanznot bedenkt, ist das Ergebnis nicht so schlecht. Trotz Unterstützung durch die Regionalbischöfin, die Stadtdekanin, das Kulturreferat, das Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, die LfA Förderbank, die Hypo-Kulturstiftung und den Ecclesia Versicherungsdienst ist der Finanzrahmen eng, so eng, dass viel guter Wille und unentgeltlicher Einsatz nötig sind, um das breit gefächerte Veranstaltungsprogramm zu verwirklichen. Allerdings wäre es um keinen Cent teurer geworden, das dazugehörige Faltblatt einladender und vor allem übersichtlicher zu gestalten. Allein für Sonn- tag, den 10. Oktober, muss man in vier Textspalten suchen. Es gibt die unterschiedlichsten Ankündigungen von Vernissagen, Konzerten, Performances, Künstlergesprächen, Klanginstaliationen und selbstverständlich auch Gottesdiensten. Erster und wichtigster Termin aber ist die Eröffnung der Artionale heute um 18 Uhr in St. Markus, wo ein ganz besonderes Musikerlebnis die Besucher erwartet: ein Stück von György Ligeti, in dem die Klangfarben durch manipulatives Ziehen der Orgelregister verzerrt werden, bis am Schluss des sechs Minuten dauernden Stücks der Motor ausgeschaltet wird und die Luft aus den Pfeifen hörbar entweicht. Neue Musik, meint Generalmusikdirektor Gerd Kötter, habe es in den Gemeinden noch schwerer als die bildende Kunst, weil sie eine klar definierte, dienende Funktion hat. Deshalb ist die Artionale eine Chance, eingefahrene Gleise zu verlassen. In erster Linie aber ist sie eine Möglichkeit, Kunst in einem nicht alltäglichen Rahmen zu erleben. So wurden zwölf Künstlerinnen und Künstler aus München ausgewählt, Arbeiten mit Fotografie zu zeigen. Stefan Hunstein belegt damit den Boden des Mittelgangs der Lukaskirche, Petra Gerschner zeigt eine Lichtinstallation an der Fassade der Evangelischen Studierendengemeinde, Yvan Baschang Portraits aus der Pariser Metro im Diakoniewerk Maxvorstadt. Wilfried Petzi regt in der Himmelfahrtskirche zum Nachdenken über Licht, Doris M. Würgert in der Andreaskirche in Fürstenried über Wahrheiten und Petra Schneider in St. Markus über "Die Kostbarkeit des flüchtigen Moments" an. (Alle Fotoinstallation sind bis 31, Oktober täglich von 19 bis 20 Uhr zugänglich. Weitere Informationen: www.artionale.de.) HANNE WESKOTT - Süddeutsche Zeitung 6.10.2004 |