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„Kein Geld? Es fehlt an Interesse“

Moderne Kunst neben dem Altar? Das sorgt meistens für Konflikte. Auch bei der Artionale, einem Ausstellungsprojekt der evangelischen Kirche in München: ein Gespräch mit dem Kurator

Klaus von Gaffron ist Kurator der Münchner Artionale und hat sich hierfür intensiv mit dem Thema Unschärfe befasst. Er wurde 1946 in Straubing geboren, lebt und arbeitet in München. Für seine fotografischen Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter mit dem Kunstpreis 2003 der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Außerdem engagiert er sich in diversen kulturpolitischen Verbänden und ist Vorsitzender des Berufsverbandes Bildender Künstler München und Oberbayern.

CHRISMON: Als Künstler und Kurator der Artionale bringen Sie Kunst in die Kirche. Was fasziniert Sie am Kirchenraum?

KLAUS VON GAFFRON: Gerade evangelische Kirchen gefallen mir gut. Sie sind so leer. Man macht die Tür auf und es wird ganz still. Jedes Knacken bekommt eine Bedeutung. Als Mensch nimmt man sich völlig zurück. Manchmal frage ich mich: Warum spreche ich nicht in meiner normalen Lautstärke? Warum lasse ich mich von diesem Raum so zwingen? Dann hebe ich die Stimme und sie knallt von überall her auf mich zurück, und ich gehe doch wieder in die Knie vor diesem Raum.

CHRISMON: Mögen Sie die Kreuzkirche, in der Sie ausstellen?

VON GAFFRON: Es heißt, sie sei hässlich. Aber ich finde sie schön. Ich mag das Mauerwerk und das kleine Lichtfenster hoch oben. Ich mag, wie das Licht über die Mauer wandert. Der Raum wird nie wirklich hell. Er behält seine Dunkelzonen.

CHRISMON: In der Kirche hat das Licht eine spirituelle Funktion. Es stellt die Verbindung dar zwischen Gott und Mensch.

VON GAFFRON: Für mich kommt das Licht nicht von Gott, sondern von der Sonne. Licht ist Physik, Naturwissenschaft.

CHRISMON: Es hat auch eine emotionale Qualität.

VON GAFFRON: Eine emotionale Gewalt, ja. Ein elementares Gefühl entsteht. Aber mit Gott hat das für mich nichts zu tun.

CHRISMON: Und Ihr Bild? Warum haben Sie es für die Kirche ausgewählt?

VON GAFFRON: Mich hat fasziniert, das Bild als Kreuz anzulegen. Der dunkle Raum in der Mitte ist vielleicht ein mystischer Raum, das Kardinalsrot außen erinnert mich an flammendes Feuer. Im Schwarz sind Lichtpunkte eingefangen, die einmal die Morgensonne auf ein anderes Bild geworfen hat. Ich habe sie fotografiert und in diesen neuen Zusammenhang gestellt. Da ist ein Glimmen, aber nicht meditativ, eher aggressiv, ich finde sogar: dämonisch. Das Schwarz dahinter geht weit zurück. Es liegt auf einer anderen Ebene. Das ist ein Erklärungsversuch. Aber jeder liest natürlich etwas anderes in einem Bild.

CHRISMON: Liegt in diesen Spielräumen die eigentliche "Unschärfe", wie das Motto der Artionale lautet?

VON GAFFRON: Mein Thema war schon immer die Unschärfe. Ich fotografiere Gegenstände nicht konkret, sondern die Bedeutungen, die darüber hinaus transportiert werden. Unschärfe bedeutet, Raum zu haben für Imagination. Es ergeben sich neue Wahrnehmungen. Unschärfe entsteht durch verschiedene Prozesse: Das Objekt bewegt sich, der Künstler bewegt sich, ein Sehleiden führt zur Unschärfe. Die meisten Betrachter versuchen allerdings, die Unschärfe zu schärfen.

CHRISMON: Sie ist auch schwer zu ertragen.

VON GAFFRON: Man will wissen, welches Geheimnis die Unschärfe verbirgt. Von einer Fotografie erwartet man die Abbildung eines Gegenstandes. Man glaubt ihr noch immer mehr als dem Wort und sucht die Wahrheit in ihr. Dabei kann man mit ihr so perfekt manipulieren, dass völlig neue Wahrheiten entstehen. Ein Bildausschnitt wird verschoben - und alles ist anders.

CHRISMON: Darf man denn Ihren Bildern trauen?

VON GAFFRON: Auf keinen Fall! Es geht mir aber auch gar nicht darum, Wahrheiten zu vermitteln. Ich will Stimmungen und un- gewohnte Zusammenhänge anbieten.

CHRISMON: Ihre Bilder sind sehr schön. Welche Bedeutung hat diese Schönheit?

VON GAFFRON: Die Schönheit entsteht einfach. Lange habe ich ihr misstraut. Mich hat der Existentialismus sehr beeinflusst, der das Schöne zerreißen wollte. Aber ich war nicht zerstörerisch genug, um in dieser Art kraftvolle Arbeiten zu schaffen. Immer wieder habe ich versucht, das Bruchglas in schönen Formen anzuordnen. Es verblüfft mich übrigens immer noch, dass meine Bilder den Menschen Schwierigkeiten machen. Sie wollen sie auf Anhieb begreifen, statt einfach langsam in das Bildhineinzugehen und sich weiterzutasten.

CHRISMON: Scheitert ein Künstler, wenn sein Werk nicht verstanden wird?

VON GAFFRON: Die Gesellschaft scheitert. Eigentlich kann der Mensch kreativ sein und kreativ wahrnehmen. Ich sehe das immer wieder an Kindern. Wir dürfen sie nur nicht blockieren. In Hinblick auf die Kunst sind das Schulsystem, die Ausbildung, die Vermittlungsarbeit schlecht. Irgendwann trauen sich die Menschen nicht mehr, einfach spielerisch kreativ zu sein. Wenn sie es doch tun, ist das nicht unbedingt Kunst, aber ein wunderbarer Zustand. Ich arbeite als Vermittler von Kunst. Es geht mir darum, Kunst zuzulassen - aus Neugier, nicht aus Angst vor Konflikten. Beim Zulassen von Kunst versagt die Kirche.

CHRISMON: Warum? Sie stellt Ihnen doch ihre Kirchen als Ausstellungsräume zur Verfügung.

VON GAFFRON: Manche Kirchen, ja. Die meisten Gemeinden stellen aber immer noch am liebsten nette Bilder von Kindergartenkindern und Senioren aus. Man hat es gern konkret, hat gern den Jesus am Kreuz, je leidender, desto besser. Aber wer den Dialog mit der Kunst führen will, muss das ernsthafter angehen und mit Künstlern zusammenarbeiten, die sich mit dem Raum auseinander setzen.

CHRISMON: Mit dem Kirchenraum oder mit dem geistigen Raum der Kirche? VON GAFFRON: Mit beiden. Was in den Raum hineinkommt, wird vom Raum aufgesogen und verändert.

CHRISMON: Haben Künstler da Berührungsängste? VON GAFFRON: Ich jedenfalls habe keine. Wir leben nun mal in einer christlichen Kultur und ich will mich mit dieser Kultur aus- einander setzen. Darum frage ich mich, wo ich mich ansiedle und was mir als unwahr erscheint, warum mir Trostworte suspekt sind und warum mir der Raum ehrlich erscheint, nicht aber der Pfarrer, der einige dieser Worte sagt.

CHRISMON: Pfarrer sind nicht ehrlich?

VON GAFFRON: Ehrlich schon. Aber ich kenne wenige Kirchenleute, die zum Tod oder zur existentiellen Situation eines Menschen anderes als Schlagworte zu sagen haben. Darüber muss die Kirche nachdenken.

CHRISMON: Was erhoffen Sie sich denn von der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Kunst?

VON GAFFRON:: Eine Zwiesprache, in der sich keiner rechtfertigt und jeder sich in Frage stellt; in der eine Annäherung stattfindet, aber keine Anbiederung. Das ist schwierig. Soweit ich weiß, ist keiner der ausstellenden Künstler ein begeisterter Kirchengänger.

CHRISMON: Braucht man nicht eine Affinität zum Glauben, um sich auf den Dialog einzulassen?

VON GAFFRON:: Zuerst denkt der Künstler an den Raum. Aber Künstler sind auch neugierig, hören zu, was in der Kirche passiert, und nehmen es in ihre Arbeit auf. Kunst ist offen. Materiell bleiben sich die Bilder gleich, ob sie im Museum hängen, in einem Sparkassenfoyer oder in einer Kirche.

CHRISMON: Ihre Bilder hängen auch im Polizeipräsidium.

VON GAFFRON:: Für mich gehören Bilder in die Welt des Menschen, ob das Polizisten sind oder Pfarrer. Ich kenne einen Polizisten, dessen Arbeit darin besteht, Spuren zu analysieren. An der Kunst interessiert ihn vor allem die künstlerische Technik. Die Pfarrer versuchen, die Bilder intellektuell zu begreifen. Inzwischen kenne ich die ausstellenden Pfarrer so gut, dass ich weiß, welche Künstler zu ihnen und ihrer Gemeinde passen. Der eine, mag den sozialen Aspekt, der andere ist experimentierfreudiger.

CHRISMON: Sie haben mit Dieter Rehm einen Künstler ausgewählt, der keine unscharfen Bilder macht, sondern scharfe!

VON GAFFRON:: Weil sich gerade hinter der Schärfe seiner Bilder eine Unschärfe verbirgt. Bei allem, was man sieht, beginnt man zu fragen: Was sehe ich nicht? Schärfe, Unschärfe - das sind die Pole der Ausstellung. Wären noch ein paar andere Kirchen mutig genug, hätten wir sie noch dichter konzipieren können.

CHRISMON: Es kostet die Kirchen Mut, Kunst auszustellen?

VON GAFFRON:: Sehr viel Mut, weil die Pfarrer die Auseinandersetzung mit der Kunst nicht gewohnt sind. Dabei haben Kunst und Kirche ihre Gemeinsamkeiten: Beide sind Randerscheinungen, sie stehen nicht im Zentrum der Gesellschaft. Kunst und Kirche könnten einander stärken. Die Künstler haben damit kein Problem, solange sie nicht vereinnahmt werden und Kirchenmitglieder sein müssen. Wäre das die Bedingung, würde fast keiner in einer Kirche ausstellen.

CHRISMON: Sind Sie der Kirche so fern?

VON GAFFRON:: Ich bin ausgetreten aus der Institution und ihren falschen Worten und Vorgaben. Aber ich bin nicht ausgetreten aus der inhaltlichen Auseinandersetzung damit, was Leben ist.

CHRISMON: Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, die Institution mit Ihrer Kunst zu provozieren?

VON GAFFRON:: Ich will keine Skandale. Skandalös finde ich schon, dass viele Gemeindemitglieder gar keinen Zugang zur Kunst finden und einfach sagen: Was soll der Schmarrn! Für solche Skandale reichen die ausgestellten Arbeiten aus.

CHRISMON: Hat sich denn gar nichts verbessert? In Berlin wurde zum Beispiel die von Kuratoren und Kirche gemeinsam organisierte Ausstellung "Warum?" gelobt und gefeiert.

VON GAFFRON:: Eigentlich hat sich nichts geändert. Bei der Artionale hat sich ein Stamm interessierter Pfarrer herausgebildet. Aber einige Kirchen, die ursprünglich Interesse hatten, sind ausgeschieden. Es fehle an Geld, wurde behauptet. Aber ich bin davon überzeugt, dass es am Interesse der Pfarrer fehlt.

CHRISMON: Was zahlt die Kirche dem Künstler für seine Ausstellung?

VON GAFFRON:: Beschämend wenig. Es fehlen Sponsoren.

DIE FRAGEN STELLTE MONIKA GOETSCH

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DIE ARTION ALE 2004, Tage für Neue Musik und Gegenwartskunst, findet vom 6. bis 31. Oktober in München statt. Veranstaltungen gibt es in: Andreaskirche in Fürstenried, Diakoniewerk Maxvorstadt, Dreieinigkeitskirche in Bogenhausen, Evangelisches Forum, Evangelische Studierendengemeinde an der Ludwig-Maximilians-Universität, Himmelfahrtskirche in Sendling, Kreuzkirche in Schwabing, Laetarekirche in Neuperlach, St. Lukas in Lehel, St. Markus in Maxvorstadt, St. Matthäus in der Innenstadt, Vater- Unser-Kirche in Oberföhring. Alle Ausstellungen sind täglich zwischen 10 und 20 Uhr geöffnet.

Die Lange Nacht der Münchner Museen mit Künstlergesprächen und anderen Rahmenveranstaltungen gibt es am 16. Oktober von 19 bis 2 Uhr morgens.

Veranstalter der Artionale ist der Evangelisch-Lutherische Dekanatsbezirk München; das Organisationsteam bildet sich aus dem Kreis der evangelischen Kirchenmusiker Münchens und der Initiative „kunstbewegt - Ereignisse im evangelischen Raum“.
Ansprechpartner ist Pfarrer Gerson Raabe, Oberländerstr. 36, 81371 München, Telefon 089/771044; Fax 089/7470241.
Fragen per E-Mail an: info@artionale.de

CHRISMON 10.10.2004