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Vorwort | Konzept Musik | Konzept Bildende Kunst Konzept Musik
Es lohnt sich, den Begriff „Unschärfe“ - durch die Fotografie zum Thema fürs Auge geworden - für das Ohr zu erweitern. Ohne sofort mit dem Makel der Schwerhörigkeit behaftet zu sein, nehmen wir mit unseren Ohren vieles unscharf wahr: Tiefe Töne können zum Beispiel nur dann erfasst werden, wenn sie eine bestimmte Dauer haben, sonst bleibt der Klangeindruck unscharf. Musik birgt viele Unschärfen in sich: Dies beginnt schon mit dem Prozess, einen kompositorischen Gedanken auf Papier zu bannen. Im Folgenden machen sich dann Musiker daran, diese nun verschriftliche Idee zum Klingen zu bringen. Bleibt noch der Zuhörer, der mit seinen Hörerfahrungen diese Musik aufnimmt. Gehörtes wird schließlich zur Erinnerung und rührt in unserem Inneren eigene emotionale Bereiche an. Unser CD-Wahn versucht, Klang scharf zu machen. Er lässt der Erinnerung keinen Raum, korrigiert, verändert und macht immer präsent. Eine Komposition, die für den Mailänder Dom konzipiert ist, verliert ihre ihre Inspiration, wenn sie aus dem Lautsprecher im Wohnzimmer kommt. Die Raumakustik einer großen Kirche lässt scharfe Konturen verschwimmen: Ein für viele Zuhörer negativ besetztes Hörerlebnis, weil sie Sicherheit im Musikerfassen durch ein scharfes Klangbild suchen. Das gilt für alte und neue Musik gleichermaßen. Für die Komponisten unserer Zeit kommen noch andere Aspekte hinzu. In der Musiktheorie bis zum 18. Jahrhundert wird „Rauschen und Geräusch“ nicht zur Musik gerechnet. Zwar wird in der bildhaften Musik schon mal Gewitter, Meeresrauschen und dergleichen in nachvollziehbaren Tonfolgen zitiert. Aber erst ab dem 20. und 21. Jahrhundert gilt die Befreiung der Musik von diesen eingeengten Kategorien. Das Rauschen als hochkomplizierte Klangaktion, in der einzelne Bestandteile im Gesamtklang verschwimmen und kaum noch identifizierbar sind, wird zum aufregenden Kompositionsprinzip. Durch die Einbeziehung der Elektronik erweitert sich das Klangspektrum sprunghaft. Die Begriffe von Dissonanz und Konsonanz werden aufgeweicht. Das erfordert neue Hörgewohnheiten: Hinzu tritt die Erweiterung unserer Hörerfahrungen durch den Zugang zu außereuropäischer Musik in ihre Vierteltonaufsplitterungen oder ihren hochkomplexen rhythmischen Strukturen. In den musikalischen Aktionen der ARTIONALE kommt dies zum Klingen: Bei der Eröffnung in St. Markus sind exemplarische Orgelwerke der 60er und 70er Jahre (G. Ligeti, B. Hambräus und M. Kopelent) zu hören. Ein anderer Aspekt von Klangschichtungen kommt im Improvisationskonzert in St. Lukas mit dem „Trio Olivage“ zum Tragen. Hier eröffnen experimentelle Spieltechniken von Cello, Viola und E-Gitarre völlig neue Klangwelten. In der Klanginstallation „Palimpsest“ von Petra Dahlemann (Text) und Gerhard Detzer (Musik) für elektro-akustische Musik, Gesang und Sprechern in der Himmelfahrtskirche gehen Text und Musik den „Palimpsest“ innewohnenden Begriffen von Abkratzen, Abschaben, Auslöschen, dann wieder Rekonstruktion und Zurücknahme der Überschreibungen in Klangsplittern, Fundstücken und Bearbeitungen nach. Mit „saties factory 840” stellen Michael Grill und Gerd Kötter eine Raum.Klang.Installation nach „Vexations“ von Erik Satie (komponiert bereits 1882) in Schichtungen und Verzerrungen der Klänge vor. Durch diese Gesamtinszenierung entsteht ein irritierendes Klangerleben. Der zum Umhergehen eingeladene Zuhörer nimmt immer wieder neue Klangfarben wahr. In Gottesdiensten stehen experimentelle Formen neuer gottesdienstlicher Musik zur Diskussion. „Die Lange Nacht der Münchner Museen“ gibt außerdem Raum für Raum.Klang.Performances. Gerd Kötter, Kirchenmusikdirektor |