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artionale 07 | Vita

Das Projekt artionale 2011: Neue Musik

 

Sei es aus der Erkenntnis heraus, dass alles fließt, oder dass die Natur keine Sprünge macht, oder dass sich das Rad der Geschichte immer weiter dreht: Kontinuitäten aller Art avancieren leicht zum Lebens-Elixier für jene, die es überschau- und berechenbar mögen. The show must go on – auch dieses Gewaltsame wird hingenommen, solange keine Risse in der Fassade zu sehen sind.

Die Barockmusik kannte den basso continuo als Fundament und Inbegriff der Verlässlichkeit, als Garantie dafür, dass die übergeordnete Form jeden noch so exzentrischen Inhalt schon wieder einfangen werde. Wenn Bach seine Hörer gelegentlich „hängen“ ließ – beispielsweise bei der Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ aus der Matthäuspassion –, so verstanden diese ihn: Alle Existenzgrundlage ist verloren, wenn der basso continuo fehlt. Ebenso das plötzliche Abreißen der Musik, die Unterbrechung des Kontinuums, wie bei Bachs Motette „Jesu, meine Freude“ bei „Es ist nun nichts…, nichts…, nichts Verdammliches an denen…“. Was da entstand, war eine Pause, die dem Erklingenden zusätzlich Tiefe und Sinn gab. Über die Stille eines solchen Dazwischen hinaus arbeitete der Geist, das innere Ohr weiter, auf das Telos der Schlusskadenz zu. Dies ist lange her.

Vielleicht wirkt die Sehnsucht nach der metaphysischen Einheit des Innen und Außen musikalisch noch am ehesten in Konzepten wie der Techno-Musik weiter, dessen Kontinuum kein Dazwischen duldet vor der finalen Erschöpfung. Unsere Musik aber „ist zerbrochen“ (Rose Ausländer), der Hammer ist ohne Meister (René Char). Die Pause, jetzt als Nicht-Klang, hat sich längst in das Kontinuum der Musik hineingefressen, nimmt etwa bei John Cages 4´33´´, brav in drei Sätzen, ganz deren Position ein. Und wir stehen vor der Frage: Welches ist nun die eigentliche „Position“ und welches ist das Dazwischen?

Das diesjährige Thema der artionale 2011 hat uns Musiker angeregt, dieses Problemfeld, wenn schon nicht zu beantworten, so doch von verschiedenen Seiten zu beleuchten und mit unterschiedlichen musikalischen Mitteln anschaulich zu machen. Schließlich ist die Musik nicht nur eine Sache der Zeitpunkte, an oder zwischen denen sie ertönt, sondern auch der Orte im Raum, mit denen sie zumal in den Kirchen zu immer neuen Raumklängen verschmilzt. Einer solchen Ästhetik des dazwischen nachzuspüren, bedeutete auch für uns eine spannende Reise auf unsicheres Terrain. Wir laden Sie ein, uns dabei zu begleiten.

Michael Grill, Kirchenmusikdirektor